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TTIP: neue Entwicklungsperspektiven für ganz Europa

26.02.2015
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Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben Verhandlungen über ein Transatlantisches Handelsabkommen aufgenommen, das die Wirtschaft in den EU-Mitgliedsländern ankurbeln wird. Davon werden aber auch Drittstaaten wie die Schweiz profitieren.

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Die Vereinigten Staaten sind ein sehr wichtiger Partner Europas – kulturell, politisch oder ökonomisch. Die politische Bedeutung des transatlantischen Bündnisses hat sich in den jüngsten internationalen Krisen ein weiteres Mal bestätigt. Gleiches gilt auch für die Wirtschaft: Die USA sind der wichtigste Handelspartner der EU, mit einem Aussenhandelsvolumen von mehr als 484 Milliarden Euro im Jahr 2013. Die für beide Seiten bedeutende Wirtschaftsbeziehung wird jedoch noch immer von zahlreichen Handelshemmnissen wie Zöllen oder unterschiedlichen technischen Normen behindert.

Um die Zusammenarbeit zwischen den transatlantischen Partnern zu verbessern, wurden im Jahr 2007 der Transatlantische Wirtschaftsrat (Transatlantic Economic Council, TEC) gegründet. Im Jahr 2013 wurde das Projekt von einer vertieften Zusammenarbeit im Handel zwischen der EU und den USA  in Angriff genommen. Die Verhandlungen über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) zielen darauf, die Import- und Exportbeschränkungen sowie auch die Hemmnisse für Investitionen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen grösstenteils abzuschaffen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben heute mehr als 500 Millionen Konsumenten. Die Öffnung des transatlantischen Marktes würde europäischen Unternehmen Zugang zu weiteren 320 Millionen potenziellen Kunden ermöglichen. Durch die höhere Nachfrage würden Firmen viel schneller wachsen können, was zusätzliche Arbeitsplätze schaffen würde.

Ein ehrgeiziges Projekt

Die Verhandlungen umfassen drei verschiedene Bereiche: die Marktöffnung, die Zusammenarbeit der Kontrollorgane und die Etablierung gemeinsamer Regeln. Der Zugang zum nordamerikanischen Markt soll den europäischen Unternehmen und Investoren weitere Wachstumschancen eröffnen. Im Zentrum der laufenden Verhandlungen stehen daher der Abbau von Zöllen, die Dienstleistungsfreiheit und der Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen. Ziel der intensiven Beratungen über die europäischen und die US-amerikanischen Kontrollorgane ist eine Harmonisierung der technischen Normen beider Handelsregionen. Betroffen sind namentlich wichtige Bereichen wie der Umwelt- und Tierschutz, die pharmazeutische Industrie, die IT- und Kommunikationsbranche oder die Automobilindustrie. Mit dem TTIP werden ausserdem neue Regeln für KMUs, den Schutz des geistigen Eigentums oder das Wettbewerbsrecht eingeführt werden, wie auch Mechanismen zur Beilegung von Streitigkeiten im Investitionsrecht, sowohl zwischen Firmen und Staaten als auch zwischen Staaten.

Wie überall setzen erfolgreiche Verhandlungen eine gewisse Vertraulichkeit voraus. Aus Gründen der Transparenz hat die Europäische Kommission jedoch eine öffentliche Konsultation über breite Teile des Abkommens lanciert und hat Anfang 2015 das Zwischenergebnis der Verhandlungen veröffentlicht. Zahlreiche Unterlagen zu den Verhandlungen sind nun allgemein zugänglich. 

Erwartete Effekte des TTIP

Das Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (Centre for Economic Policy Research, CEPR) in London prognostiziert in einer Studie sehr positive Auswirkungen eines allfälligen Abkommens. Für die EU-Mitgliedsstaaten dürften sich die wirtschaftlichen Vorteile auf mindestens 119 Milliarden Euro beziffern. Dies entspräche einem jährlichen Zuwachs des pro Haushalt verfügbaren Einkommens um 545 Euro. Auch der Arbeitsmarkt würde profitieren, da für das Wachstum der europäischen Unternehmen und die Gründung von Tochterfirmen in den USA zusätzliche Arbeitskräfte benötigt würden. Das Abkommen würde zudem für mehr Wettbewerb sorgen, sodass die Unternehmen innovativer werden und mehr investieren müssten. Für die Verbraucher würde sich dies in einer grösseren Auswahl an Produkten zu niedrigeren Preisen ausdrücken. Abgesehen von den monetären Vorteilen erhielte die Europäische Union durch TTIP zusätzlichen Einfluss auf die Formulierung von internationalen Handelsvorschriften, und könnte dadurch die europäischen Werte und hohen Qualitätsstandards besser verteidigen.

Ethische und ökologische Herausforderungen

Obwohl das Projekt den beteiligten Länder enorme Vorteile haben kann, hört man – vor allem in Westeuropa – kritische Stimmen, die die Ethik bestimmter Klauseln des Abkommens infrage stellen. Unter anderem wird befürchtet, dass der europäische Markt von GVO (gentechnisch veränderten Organismen) oder von «Hormonfleisch» überschwemmt werden könnte. Dazu präzisiert die Kommission, dass die grundlegende Gesetzgebung bezüglich GVO, Verbraucherschutz und der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt durch das verhandelte Abkommen nicht infrage gestellt werden. Ausserdem geht es bei TTIP um Kooperation und einen Austausch über die auf beiden Seiten des Atlantiks geltenden Normen, nicht jedoch um deren Vereinheitlichung.

Befürchtet wird auch eine Neuauflage des Übereinkommens zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA), die den Schutz personenbezogener Daten und geistiger Eigentumsrechte bedrohen könnte. Die Ablehnung des ACTA durch das Europaparlament im Jahr 2012 soll jedoch in jeder Hinsicht weiterhin respektiert werden. Auch die Übernahme einzelner Normen aus diesem Bereich in das TTIP ist nicht geplant. Debattiert wird ausserdem über die Einrichtung einer Schiedsstelle für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten. Selbst wenn sich die Parteien auf die Notwendigkeit eines Investorenschutzes einigen sollten, wird die Europäische Union darauf bestehen, der Schiedsstelle ein klares Regelwerk vorzugeben. Die Kommission hat wiederholt betont, dass durch eine solche Schiedsstelle kein Staat daran gehindert werde, eigene Gesetze zu verabschieden, und dass die Souveränität der Legislative somit in jedem Fall gewahrt bleibe.

Die Vorteile für Drittstaaten

Ein integrierter transatlantischer Markt dürfte auch für Nicht-EU-Staaten Vorteile bringen. Laut der oben genannten CEPR-Studie können einkommensstarke OECD-Länder wie beispielsweise die Schweiz ihr Bruttoinlandsprodukt dank TTIP um bis zu 36 Milliarden Euro oder 0,19 % steigern. Dieser Effekt sei zwei Prozessen zu verdanken: Erstens werde durch das Wachstum und die steigenden Einkommen der EU-Mitgliedsstaaten und der USA die weltweite Nachfrage dieser Länder zunehmen. Zweitens könnten Drittstaaten dem Vorbild von TTIP folgen, was ihnen wiederum neue Märkte und Perspektiven eröffnen würde. Die Schweiz ist als wichtige Partnerin der EU und der USA in jedem Fall durch das Abkommen betroffen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bestätigt im Übrigen die vom CEPR in Aussicht gestellten positiven Auswirkungen. Gemäss zwei seiner Studien wäre ein zusätzliches Wachstum von bis zu 2,9 % möglich.

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