EU-Unterstützung für die Ukraine und die Sicherheitsarchitektur in Europa

09/01/2021 – HV/VP Blog – Gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres habe ich die Ukraine besucht, um dem Land die Unterstützung der EU für seine Souveränität und territoriale Integrität zuzusichern, gerade in dieser Zeit, in der die Ukraine mit dem Truppenaufmarsch Russlands konfrontiert ist und Russland die Grundfesten der europäischen Sicherheit in Frage stellt. Die EU wird weiterhin an allen Gesprächen beteiligt sein, die unsere Sicherheit betreffen – ohne uns kann nichts über uns entschieden werden.

„Die EU unterstützt weiterhin die uneingeschränkte Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. Die Abgrenzung von Einflusssphären gehört nicht zum Jahr 2022.“

 

Mein Besuch in der Ukraine fand zu einem besonders kritischen Zeitpunkt statt, nämlich als sich der Konflikt an der Grenze des Landes durch den russischen Truppenaufmarsch zu verschärfen begann. Er fand im Vorfeld einer Reihe von Treffen zwischen Russland, den USA und der NATO statt, bei denen die Forderungen Russlands nach „Sicherheitsgarantien“ erörtert werden sollen. Die Sicherheitslage in Osteuropa wird auch das Hauptthema der informellen Treffen mit den Außen- und Verteidigungsministern der EU in der kommenden Woche in Brest (Frankreich) sein.

Unterstützung der EU für die vom Konflikt betroffene Bevölkerung hervorgehoben

Bei der Mission handelte es sich um meinen dritten Besuch in der Ukraine seit Beginn meiner Amtszeit, aber um meinen ersten im Donbass im Osten der Ukraine. Dies war auch die erste Mission eines Hohen Vertreters/Vizepräsidenten an der Kontaktlinie zu den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten des Landes. Gemeinsam mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba besuchte ich den Ein- und Ausreisekontrollpunkt Stanytsya Luhanska an der Kontaktlinie, um zu zeigen, dass die EU die vom Konflikt betroffene Bevölkerung konkret unterstützt. 

Der Ein- und Ausreisekontrollpunkt und das dazugehörige Verwaltungszentrum, das im November letzten Jahres eröffnet wurde, sind beide mit Unterstützung der EU errichtet worden. Die ursprüngliche Brücke in Stanytsya Luhanska wurde im März 2015 während des bewaffneten Konflikts zerstört. Die ukrainische Regierung eröffnete 2019 die neue Brücke. Sie wurde absichtlich nur für den Leichtverkehr gebaut, um Bewegungen schwerer Militärfahrzeuge nicht zu begünstigen. Heute überqueren rund 70 000 Personen monatlich diesen Ein- und Ausreisekontrollpunkt. Das Verwaltungszentrum ist für die Personen zuständig, die den Kontrollpunkt passieren. Stanytsya Luhanska ist die einzige noch funktionierende Kontrollstelle in der Region Luhansk. Die De-facto-Behörden im nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiet haben sich bisher geweigert, weitere Kontrollstellen zu eröffnen.

 

„Ich konnte mich persönlich von den Folgen des Krieges im Donbass überzeugen und hören und sehen, wie dramatisch sich der Konflikt auf das Leben Tausender Menschen ausgewirkt hat und viele Schicksale zerstört wurden.“

 

Der Besuch war eine Gelegenheit, sich mit eigenen Augen von den Folgen des Krieges im Donbass zu überzeugen. Ich konnte hören und sehen, wie dramatisch sich der Konflikt auf das Leben Tausender Menschen ausgewirkt hat und viele Schicksale zerstört wurden: Familien wurden auseinandergerissen und leben nun beiderseits der Kontaktlinie, mit vielen Hindernissen beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und zu Beschäftigung. Aber es war auch beeindruckend zu sehen, welche Arbeit die ukrainische Regierung und internationale Organisationen und NRO täglich leisten.

In Stanytsya Luhanska wurde ich zudem vom stellvertretenden Befehlshaber der gemeinsamen Einsatzkräfte über die militärische Lage unterrichtet. Er betonte, dass die Waffenstillstandsverletzungen durch die von Russland unterstützten bewaffneten Gruppierungen unvermindert anhalten. Seit November letzten Jahres haben große und ungewöhnliche Verlagerungen von russischen Truppen und Waffen an der Grenze zur Ukraine stattgefunden. Dies ist neben anderen subversiven Maßnahmen gegen die Ukraine ein weiterer Versuch, die Souveränität der Ukraine zu untergraben. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Russland an diesem Konflikt beteiligt ist und nicht, wie es oft behauptet, eine Vermittlerrolle spielt.

 

„Russland ist an diesem Konflikt beteiligt und spielt nicht, wie es oft behauptet, nur eine Vermittlerrolle. Unser Hauptinteresse, unser Anliegen und unser Ziel ist es, Russland zur Deeskalation der Lage zu bewegen.“

 

Insgesamt haben sich Spannungen in Bezug auf die europäische Sicherheit aufgebaut. Auf der Pressekonferenz, die wir an der Kontaktlinie abhielten, habe ich betont, dass unser Hauptinteresse, unser Anliegen und unser Ziel darin bestehen, Russland zur Deeskalation der Lage zu bewegen. Die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarung durch Russland ist nach wie vor eine grundlegende Voraussetzung. Wir werden die diplomatischen Bemühungen zur Wiederbelebung der Konfliktlösung im Rahmen der trilateralen Kontaktgruppe (Russland, Ukraine und OSZE) und des Normandie-Formats (Russland, Ukraine, Frankreich und Deutschland) weiterhin unterstützen. Ebenso wichtig ist, dass die OSZE-Sonderbeobachtermission ihr Mandat in vollem Umfang erfüllen kann.

Dialog ist ein Muss, aber ebenso Abschreckung und Entschlossenheit durch eine entschiedene Unterstützung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Jede weitere Aggression gegen die Ukraine wird massive Folgen und hohe Kosten für Russland nach sich ziehen. Wir koordinieren unseren Ansatz eng mit transatlantischen und anderen gleichgesinnten Partnern. Ohne die Sicherheit der Ukraine gibt es auch keine Sicherheit in Europa.

 

„Dialog ist ein Muss, aber ebenso Abschreckung. Jede weitere Aggression gegen die Ukraine wird massive Folgen und hohe Kosten für Russland nach sich ziehen.“

 

Über die Sicherheit der Ukraine hinaus steht die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur auf dem Spiel. Indem die russische Führung in den im Dezember letzten Jahres vorgelegten „Vertragsentwürfen“ bewusst jeden Bezug zur EU ausklammert, scheint sie zu den alten Zeiten und der Logik des Kalten Krieges zurückkehren zu wollen. Die russischen Vorschläge spiegeln in der Tat die Position der russischen Regierung wider, die darauf abzielt, die seit 1990 eingetretenen Entwicklungen zum Nachteil der europäischen Einheit und unter Verletzung der Unabhängigkeit und Souveränität der ehemaligen Sowjetstaaten rückgängig zu machen. Diese Art der Abgrenzung von Einflusssphären gehört nicht zum Jahr 2022.

 

„Die russische Führung scheint die Uhr zurückdrehen und zu den alten Zeiten der Logik des Kalten Krieges zurückkehren zu wollen. Diese Art der Abgrenzung von Einflusssphären gehört nicht zum Jahr 2022: Es kann keine Neuauflage von Yalta geben. “

 

Diese Zeiten sind definitiv vorbei, und wir müssen klarstellen, dass Gespräche, die die Sicherheit in Europa betreffen, nicht ohne die Europäer stattfinden werden. Wir haben mit den USA und unseren Partnern vereinbart, dass solche Gespräche nur in Abstimmung mit und unter Beteiligung der EU fortgesetzt werden. Darüber hinaus sollte die Unabhängigkeit der Ukraine und ihr Recht, eigenständig außenpolitische Entscheidungen zu treffen, nicht in Frage gestellt werden. Selbstverständlich muss die Ukraine bei allen Gesprächen über die Ukraine am Tisch sein.

Mehrere Vorschläge Russlands sind nicht mit den Grundprinzipien der europäischen Sicherheit vereinbar, insbesondere nicht mit der Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975. Der Dialog mit Russland auf der Tagung des NATO-Russland-Rates bedeutet nicht, dass die russischen Vorschläge gebilligt werden, er bietet vielmehr eine Plattform für diplomatische Gespräche, die mit unseren Sicherheitsinteressen im Einklang stehen und die Grundprinzipien der europäischen Sicherheit und Stabilität bekräftigen. So könnten beispielsweise die Vorschläge zur Schaffung von Krisenbewältigungsmechanismen nützlich sein.

 

„Die OSZE sollte auch ein bevorzugter Ort für Diskussionen über die europäische Sicherheit sein: Sie wurde genau für Situationen wie diese geschaffen und ist der geeignete Rahmen, um einen sinnvollen Dialog zu beginnen.“

 

Neben den NATO-Russland-Gesprächen ist die OSZE ein bevorzugter Ort für Diskussionen über die europäische Sicherheit: Sie wurde genau für Situationen wie diese geschaffen und ist der geeignete Rahmen, um einen sinnvollen Dialog zu beginnen. Die Gespräche über die europäische Sicherheit sollten unter der Voraussetzung stattfinden, dass Russland sich konstruktiv an der Behandlung regionaler Sicherheitsfragen in den einschlägigen bestehenden Formaten beteiligt.

 

„Die interne Resilienz der Ukraine stärken bedeutet die Fähigkeit der Ukraine stärken, externen Herausforderungen standzuhalten. Der beste Weg, dem russischen Druck zu begegnen, besteht darin, die Korruptionsbekämpfung zu verstärken, Justizreformen voranzutreiben und die demokratischen Institutionen zu unterstützen.“

 

Bei meiner Weiterreise nach Kiew traf ich auch mit Ministerpräsident Denys Schmyhal zusammen. Er würdigte die proaktive Haltung der EU und die von ihr geleistete Unterstützung. Im Mittelpunkt unserer Beratungen stand die Stärkung der internen Resilienz der Ukraine – auch als Mittel, die Resilienz des Landes gegenüber externen Herausforderungen zu stärken. Es handelt sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das Festhalten an der Reformagenda muss eine Priorität bleiben, beginnend mit einer umfassenden Reform des Justizwesens, der „Mutter aller Reformen“.  Ich legte dem Ministerpräsidenten nahe, auch weiterhin wichtige Reformen in Bezug auf das Verfassungsgericht, die Sicherheitsdienste und die Verwaltung staatseigener Unternehmen umzusetzen, und versicherte ihm, dass die EU dies weiterhin unterstützen wird. Ein wichtiges Mittel, dem russischen Druck zu begegnen, besteht darin, die Korruptionsbekämpfung zu verstärken und die demokratischen Institutionen zu unterstützen.

Seit Beginn des Konflikts im Jahr 2014 und der rechtswidrigen Annexion der Krim ist die EU tatsächlich der zuverlässigste Partner der Ukraine: Wir haben 17 Mrd. EUR mobilisiert, um dem Land zu helfen, und unser Assoziierungsabkommen ist tatsächlich das umfassendste, das wir je mit einem Land der Welt geschlossen haben. Kürzlich haben wir weitere 31 Mio. EUR zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte bereitgestellt. Die Beratende Mission der Europäischen Union (EUAM) ist seit 2014 auch vor Ort tätig, um zur Reform des ukrainischen zivilen Sicherheitssektors beizutragen. Darüber hinaus läuft unsere Unterstützung für die Bekämpfung von Desinformation weiter, und der Cyberdialog zwischen der EU und der Ukraine ist im Gange. Mit 200 Mio. EUR – dem größten Hilfepaket, das je für einen unserer östlichen Partner bereitgestellt wurde – hat die EU auch bedeutende Unterstützung für die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geleistet. Darüber hinaus haben wir Soforthilfe in Höhe von 1,2 Mrd. EUR bereitgestellt, um der Ukraine dabei zu helfen, ihren dringenden Finanzierungsbedarf zu decken.

Die Ukraine kann darauf vertrauen, dass wir sie weiterhin politisch, diplomatisch und wirtschaftlich unterstützen werden.

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