Die Energiepolitik steht im Mittelpunkt der EU-Außenpolitik

„Wir müssen unsere derzeitige Schwäche, die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen aus Russland, in eine Stärke umwandeln, indem wir unseren ökologischen Wandel beschleunigen und Schwellen- und Entwicklungsländern helfen, sich uns auf diesem Weg anzuschließen.“ #REPowerEU
Energiepolitik ist schon immer ein geopolitisches Thema gewesen, und das ist nun mit dem Krieg gegen die Ukraine noch deutlicher geworden. Seit Jahren diskutieren wir über die Notwendigkeit, unsere Abhängigkeit von Energieeinfuhren aus Russland zu verringern, einem Land, das Energie als politische Waffe einsetzt. Jetzt wissen wir, dass wir es uns nicht länger leisten können, dies aufzuschieben: Wir finanzieren die Fähigkeit des Kremls, Krieg gegen die Ukraine zu führen. Dies wird keine leichte Aufgabe sein und erfordert interne Maßnahmen an zahlreichen Fronten, die im REPowerEU-Plan beschrieben werden.
„Wir müssen sicherstellen, dass unser kurzfristiges Ziel – Putin die Ressourcen und Druckmittel zu entziehen, die ihm fossile Brennstoffe bieten – mit unserem mittelfristigen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 im Einklang steht.“
Das hat auch zahlreiche Auswirkungen auf die Außenpolitik der EU und auf unsere Partnerschaften mit vielen Regionen auf der ganzen Welt. Wir müssen sicherstellen, dass unser kurzfristiges Ziel – Putin die Ressourcen und Druckmittel zu entziehen, die ihm fossile Brennstoffe bieten – mit unserem mittelfristigen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 im Einklang steht. Dies ist der schmale Grad, den wir durch die am vergangenen Mittwoch angenommene EU-Strategie für ein auswärtiges Engagement im Energiebereich zu definieren versucht haben.
Russland ist heute mit mehr als 40 % unseres Verbrauchs der größte Gaslieferant Europas. Diese Abhängigkeit wollen wir bis 2027 beenden. Der größte Teil des Gases und Öls, das wir aus Russland einführen, wird durch erneuerbare Energien ersetzt oder aufgrund von Energieeffizienz und Einsparungen nicht mehr benötigt werden. Um jedoch den verbleibenden Gasbedarf zu decken, muss die Union ihre Einfuhren aus Quellen außerhalb Russlands erhöhen.
Dabei müssen wir berücksichtigen, dass sich die globale Energielandschaft rasch verändern wird, da die Welt beginnt, den ökologischen Wandel zu vollziehen. Im 20. Jahrhundert wurde Energie zunehmend zu einer Quelle nationaler Macht und ihr Fehlen zu einer strategischen Schwachstelle. Die Öl und Gas produzierenden Länder übten ihre Macht im internationalen System aus. Länder, die über keine fossilen Brennstoffressourcen verfügten oder in denen die Nachfrage nach Öl die eigene Produktion überstieg, passten ihre Außenpolitik an, um sich den Zugang zu sichern. Nun könnte die Abkehr von Öl und Gas die Welt genauso grundlegend verändern, wie wir es vor einem Jahrhundert erlebt haben.
„Die globale Energielandschaft wird sich rasch verändern, da die Welt beginnt, den ökologischen Wandel zu vollziehen. Die Abkehr von Öl und Gas könnte die Welt genauso grundlegend verändern, wie wir es vor einem Jahrhundert erlebt haben.“
Während der Handel mit fossilen Brennstoffen zurückgehen wird, werden neue Rohstoffe wie Wasserstoff an Bedeutung gewinnen und international gehandelt werden. Dies wird die globalen Machtverhältnisse verändern, da die Kapazitäten zur Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff viel gleichmäßiger verteilt sind als die zur Förderung von Öl und Gas. Der Plan REPowerEU sieht vor, dass bis 2030 zusätzliche 20 Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoffs das russische Gas ersetzen sollen, darunter 10 Millionen Tonnen importierter Wasserstoff. Um Gasimporte aus Russland zu ersetzen, müssen wir als Europäische Union Strategien wählen, die sowohl Gas als auch grünen Wasserstoff umfassen, um das Risiko sogenannter Stranded Assets (verlorener Vermögenswerte) zu minimieren. Das ist leichter gesagt als getan, doch es ist der Weg, den wir einschlagen müssen.

Internationale Organisation für erneuerbare Energien (IRENA): Technisches Potenzial zur Herstellung von grünem Wasserstoff unter 1,5 USD/kg bis 2050, in EJ.
Wir arbeiten an einer Partnerschaft für grünen Wasserstoff im Mittelmeerraum, die ein erster Schritt zu einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen Europa, Afrika und der Golfregion sein sollte, einem weiteren Gebiet mit reichhaltigen Ressourcen für die Wasserstofferzeugung. Dieses Thema ist Teil der Strategischen Partnerschaft mit der Golfregion, die wir zusammen mit dem Plan REPowerEU angenommen haben: Der Übergang zur Produktion von grünem Wasserstoff ist ein wesentlicher Bestandteil des Wandels, den die Öl und Gas produzierenden Länder im kommenden Jahrzehnt vollziehen müssen. Auch Südafrika und Namibia entwickeln einen Wirtschaftszweig für erneuerbaren Wasserstoff und haben das Interesse der EU-Industrie geweckt.
„Die Zusammenarbeit bei der Versorgung mit grünem Wasserstoff umfasst die Förderung des lokalen Verbrauchs von Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen und die Entwicklung grüner Industrien in den Partnerländern.“
Die Zusammenarbeit in diesem Bereich umfasst die Förderung des lokalen Verbrauchs von Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen und die Entwicklung grüner Industrien in den Partnerländern. Der europäische Regelungsrahmen für Wasserstoff ist der fortschrittlichste weltweit. Auf dieser Grundlage sollten wir die Entwicklung eines globalen, auf Regeln basierenden Wasserstoffmarktes vorantreiben, und um diesen auf den Weg zu bringen, erwägt die EU die Einrichtung einer globalen europäischen Wasserstofffazilität.
Die Notwendigkeit, lang- und kurzfristig einen Ausgleich zu finden
Wir müssen jedoch lang- und kurzfristig einen Ausgleich finden: Um vom russischen Gas unabhängig zu werden, müssen wir kurzfristig mehr Gas aus anderen Quellen importieren. Wir müssen auf koordinierte Weise neue Lieferanten finden: Es wäre sinnvoll, einen gemeinsamen Beschaffungsmechanismus zu entwickeln – wie bei den Corona-Impfstoffen –, über den im Namen der teilnehmenden Mitgliedstaaten Gaseinkäufe ausgehandelt und Verträge abgeschlossen werden. Noch sind wir nicht so weit, aber wir haben eine Energiebeschaffungsplattform der EU ins Leben gerufen, die auch der Ukraine, Moldau, Georgien und den westlichen Balkanstaaten offensteht, um unsere Bemühungen zu koordinieren und die gemeinsame Beschaffung von Gas und Wasserstoff zu erleichtern.
Die Diversifizierung der Versorgung ist in vollem Gange
Im Hinblick auf die Diversifizierung der Versorgung haben sich die Kommission und die USA bereits über zusätzliche Lieferungen aus den USA geeinigt; es wurden aber auch Vereinbarungen mit anderen Partnern geschlossen. Wir verhandeln auch mit Kanada über mögliche Flüssigerdgas- und Wasserstofflieferungen. Noch vor diesem Sommer will die EU ein trilaterales Abkommen mit Ägypten und Israel über die Versorgung Europas mit Flüssigerdgas abschließen. Japan und Korea haben bereits Schiffsladungen mit Flüssigerdgas nach Europa umgeleitet, und Katar ist bereit, einen Austausch mit asiatischen Ländern zu fördern.
In Bezug auf Pipelinegas hat Norwegen seine Lieferungen nach Europa bereits erhöht, und sowohl Algerien als auch Aserbaidschan haben ihre Bereitschaft bekundet, dies ebenfalls zu tun. Die Erhöhung der Kapazität der Transadriatischen Pipeline (TAP) würde auch die Gasversorgung der EU und der westlichen Balkanländer erhöhen. Als Lieferanten für Flüssigerdgas kommen außerdem die afrikanischen Länder südlich der Sahara und insbesondere die Länder in Westafrika wie Nigeria (das bereits im Jahr 2021 15 % der Einfuhren in die EU lieferte), Senegal und Angola in Frage, deren Potenzial bisher ungenutzt blieb.
„Zusätzliche Gaslieferungen sollten mit der Behebung von Methanlecks einhergehen. 70 % der Methanemissionen aus dem Öl-, Gas- und Kohlesektor könnten mit der heutigen Technologie verhindert werden.“
Diese zusätzlichen Gaslieferungen sollten mit der Behebung von Methanlecks einhergehen. In den Ländern, die die EU beliefern könnten, gehen jedes Jahr mindestens 46 Mrd. m³ Erdgas durch Ableitung und Abfackeln verloren. Bis zu 70 % der Methanemissionen aus dem Öl-, Gas- und Kohlesektor könnten mit der heutigen Technologie verhindert werden, und fast die Hälfte davon ohne zusätzliche Kosten. Um dies zu fördern, ist die EU bereit, ein für beide Seiten vorteilhaftes System nach dem Grundsatz „You collect/We buy“ einzurichten.

Vor zwei Wochen haben die Kommission und ich als Hoher Vertreter eine sechste Runde von Sanktionen vorgeschlagen, darunter ein schrittweises Embargo für russisches Öl, um die Finanzierung der Kriegsmaschinerie des Kremls zu stoppen. Die Verhandlungen dauern noch an, um die erforderliche Einstimmigkeit zu erzielen, und ich hoffe, dass wir uns so bald wie möglich auf das Paket einigen können.
Russland ist derzeit der weltweit größte Ölexporteur, und sein brutaler Einmarsch in die Ukraine hat zu erheblichen Preissteigerungen auf dem globalen Ölmarkt geführt. Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben wir die Erdöl produzierenden Länder aufgefordert, ihre Lieferungen unter Nutzung der verfügbaren Reservekapazitäten zu erhöhen. Die Mitglieder der Internationalen Energieagentur (IEA) haben sich zudem darauf geeinigt, 120 Millionen Barrel aus den Sicherheitsvorräten freizugeben. Das ist die größte Freigabe in der Geschichte der IEA. In diesem Zusammenhang könnte die vollständige und wirksame Umsetzung der Nuklearvereinbarung mit dem Iran (JCPOA) den Zugang zu iranischen Öllieferungen erleichtern. Die erwähnte Gemeinsame Mitteilung über die strategische Partnerschaft mit der Golfregion enthält detaillierte Vorschläge zur Stärkung unserer Beziehungen und zur Zusammenarbeit mit dieser energiereichen Region.
Hilfe für die Ukraine, Moldawien und die westlichen Balkanländer
Wir helfen der Ukraine auch im Energiebereich. Die im vergangenen März erreichte Notsynchronisierung des Stromnetzes mit der Ukraine und Moldawien war ein wichtiger Schritt zur Gewährleistung der Energiesicherheit. Mithilfe von Rückströmen kann bereits Gas aus der EU in die Ukraine geliefert werden. Nach dem rücksichtslosen Verhalten Russlands in Bezug auf die ukrainischen Atomanlagen bleibt die nukleare Sicherheit eine der obersten Prioritäten. Hinsichtlich der westlichen Balkanländer werden wir vorschlagen, sie vollständig in den Strommarkt der EU zu integrieren, um den Kohleausstieg in ganz Südosteuropa zu beschleunigen.
„Wir verfügen über die Instrumente und die Erfahrung, um Hunderten von Millionen Menschen in Not mit kohlenstoffarmen, zukunftssicheren Technologien erstmals Zugang zu Energie zu verschaffen.“
Wir verstärken auch unser Engagement für den weltweiten ökologischen Wandel. Wir verfügen über die Instrumente und die Erfahrung, um Hunderten von Millionen Menschen in Not mit kohlenstoffarmen, zukunftssicheren Technologien erstmals Zugang zu Energie zu verschaffen. Im vergangenen Jahr haben wir die Initiative „Global Gateway“ ins Leben gerufen, um intelligente, saubere und verlässliche Vernetzungen in den Bereichen Digitales, Energie und Verkehr weltweit zu fördern. Im Rahmen von Global Gateway tun sich die EU, ihre Mitgliedstaaten und ihre Finanz- und Entwicklungsinstitute zusammen, um im Zeitraum 2021–2027 Investitionen in Höhe von bis zu 300 Mrd. EUR zu mobilisieren. 30 % der Entwicklungshilfe der EU fließen auch in die Bekämpfung des Klimawandels, und die EU leistet den größten Beitrag zum mit 100 Mrd. USD ausgestatteten globalen Klimaschutzfonds als Reaktion auf die 26. UN-Klimakonferenz.
Partnerschaft mit Südafrika
Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Die EU baut gemeinsam mit internationalen Partnern eine Partnerschaft mit Südafrika für eine gerechte Energiewende im Umfang von 8,5 Mrd. USD auf, die sich auf den Kohleausstieg konzentriert. Wir prüfen derzeit die Möglichkeit solcher Partnerschaften mit Vietnam, Indonesien und Indien. Trotz erheblicher Differenzen in anderen Bereichen arbeiten wir im Energiebereich auch im Rahmen der Plattform für die Zusammenarbeit im Energiebereich zwischen der EU und China (ECECP) und des hochrangigen jährlichen Dialogs zu Energiethemen zwischen der EU und China auch mit der Volksrepublik zusammen, nachdem sie beschlossen hat, bis 2060 klimaneutral zu werden.
Das Ziel der EU, den globalen Wandel zu fördern, erfordert auch die Reform und Stärkung der fragmentierten globalen Energiepolitik. Wir brauchen gut funktionierende multilaterale Institutionen, die dazu beitragen können, technisches Wissen gemeinsam zu nutzen und vereinbarte globale Regeln und Standards im Einklang mit den globalen Klimaschutzzielen festzulegen.
Energie war schon immer ein zentrales geopolitisches Thema, und ist es mit dem Krieg gegen die Ukraine und dem Kampf gegen den Klimawandel heute mehr denn je. Wir müssen unsere derzeitige Schwäche, die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen, insbesondere aus Russland, in eine Stärke umwandeln, indem wir unseren eigenen ökologischen Wandel beschleunigen, eine Vorreiterrolle beim globalen Wandel übernehmen und Schwellen- und Entwicklungsländer bei der Bewältigung dieses Wandels unterstützen.
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