Die Führung von Bosnien und Herzegowina muss die Reformen vorantreiben

09.05.2021 – Blog des HR/VP – Im Vorfeld der Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) am 10. Mai habe ich der Führung von Bosnien und Herzegowina in einem wichtigen Gespräch mit dem Staatspräsidium eine klare Botschaft vermittelt: Anstatt sich einer spalterischen nationalistischen Rhetorik zu bedienen, muss sie den Fokus auf rasche Fortschritte bei den Reformen legen.

„In Bosnien und Herzegowina sind rasche Fortschritte bei den Reformen nötig, keine spalterische nationalistische Rhetorik.“

 

Morgen werden wir auf der Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) die Lage im westlichen Balkan erörtern. Diese Region in unserer unmittelbaren Nachbarschaft hat eine hohe Priorität auf der Agenda der Union – wir wollen diese Länder auf dem Weg zu einer künftigen EU‑Mitgliedschaft begleiten. Allerdings steht der Westbalkan derzeit an verschiedenen Fronten vor ernsthaften Schwierigkeiten, etwa bei der Bewältigung der COVID‑19-Pandemie, den Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina, den mangelnden Fortschritten bei den Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien und den aktuellen Problemen in Montenegro. Über all diese Themen werden wir morgen beraten. In diesem Blog-Beitrag möchte ich jedoch auf die besonders schwierige Lage in Bosnien und Herzegowina eingehen.

Das politische Klima in Bosnien und Herzegowina hat sich in jüngster Zeit verschlechtert.

Vor zehn Tagen hatte ich eine Videokonferenz mit den drei Mitgliedern des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik, Šefik Džaferović und Željko Komšić. Aufbauend auf meinem starken Engagement in den letzten Monaten hatte ich um dieses Treffen gebeten, da sich das politische Klima in Bosnien und Herzegowina in jüngster Zeit verschlechtert hat.

Wir haben Ende des vergangenen Jahres eine bestürzende Migrationskrise erlebt, auf die die Regierung Bosnien und Herzegowinas unangemessen reagiert hat. In den letzten Wochen gipfelte die negative Meinungsmache im Zusammenhang mit den laufenden Gesprächen über die notwendigen Wahlrechts- und Verfassungsreformen in verschiedenen „Non-Papers“; in einigen davon wurden die EU und die USA für ihre Vermittlerrolle bei diesen Bemühungen kritisiert.

 

„Ein Aufruf, die Grenzen in der Region neu zu ziehen und Bosnien und Herzegowina entlang ethnischer Linien zu teilen, hat eine Welle hetzerischer Reaktionen ausgelöst.“

 

Unter anderem wurde dazu aufgerufen, die Grenzen in der Region neu zu ziehen und Bosnien und Herzegowina entlang ethnischer Linien zu teilen. Dies hat das Klima weiter vergiftet und einen Vorstoß für eine sezessionistische Agenda sowie eine Welle hetzerischer Reaktionen ausgelöst.

Ein schwieriges Treffen mit dem Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina

Deshalb beschloss ich, die Mitglieder des Staatspräsidiums zu einem Gespräche einzuladen. Es war ein schwieriges Treffen mit zahlreichen Angriffen und Schuldzuweisungen zwischen den drei Mitgliedern des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina. Ich für meinen Teil habe ihnen eine starke und klare Botschaft vermittelt.

Zunächst einmal ist der Westbalkan, einschließlich Bosnien und Herzegowinas, ein vorrangiges Thema auf der Agenda der EU. Aus diesem Grund habe ich für die nächste Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) am 10. Mai ein Gespräch über die Region angesetzt. Unser Engagement für die Region und ihre EU‑Perspektive spiegelt sich in der beispiellosen Höhe der finanziellen Unterstützung durch die EU wider, unter anderem zur Eindämmung der Auswirkungen von COVID‑19.

 

„Die EU hat 213 822 Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs für Bosnien und Herzegowina finanziert, ohne eine Gegenleistung zu fordern – es handelt sich nicht um einen Verkauf, sondern um eine Spende.“

 

Letzte Woche erhielt Bosnien und Herzegowina neben anderen Ländern des westlichen Balkans im Rahmen der spezifischen Vereinbarung, die wir für die Region getroffen haben, die erste Charge der von der EU finanzierten Impfdosen. 213 822 Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs von insgesamt 651 000 für die gesamte Region werden bis Ende August ausgeliefert. Für die Impfdosen aus der EU wird keinerlei Gegenleistung gefordert – es handelt sich nicht um einen Verkauf, sondern um eine Spende.

Als wir im vergangenen November den 25. Jahrestag des Dayton-Friedensabkommens in Sarajewo begingen, verpflichtete sich das Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina dazu, seine Anstrengungen zu verstärken, damit alle Bürgerinnen und Bürger in Würde leben können – mit Anerkennung, Respekt und Verständnis füreinander. Eine Rhetorik, die die Integrität von Bosnien und Herzegowina in Frage stellt, geht in die entgegengesetzte Richtung und muss unterbunden werden. Von Sezession, neuen Grenzen, weiteren ethnischen Spaltungen oder Krieg zu sprechen, ist gefährlich und inakzeptabel.

 

„Eine Rhetorik, die die Integrität von Bosnien und Herzegowina in Frage stellt, muss unterbunden werden. Von Sezession, neuen Grenzen, weiteren ethnischen Spaltungen oder Krieg zu sprechen, ist gefährlich und inakzeptabel.“

 

Der Standpunkt der EU hat sich nicht geändert und wird sich nicht ändern: Wir unterstützen die territoriale Unversehrtheit und Souveränität Bosnien und Herzegowinas, seine Zukunft liegt innerhalb der EU als geeintes und souveränes Land. Ich habe meine Gesprächspartner nachdrücklich aufgefordert, jeglichen kontraproduktiven Diskursen und Maßnahmen ein Ende zu setzen.

Von Dayton nach Brüssel

Als ich im vergangenen November in Sarajewo war, führte ich einen intensiven Austausch mit den Mitgliedern des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina. Wir erwarteten damals, dass die Regierung von Bosnien und Herzegowina dieses Nichtwahljahr dazu nutzen würde, um einen entscheidenden Schritt von Dayton nach Brüssel zu machen und wesentliche Fortschritte bei der Umsetzung der 14 Schlüsselprioritäten zu erzielen, die bereits im Mai 2019 in der Stellungnahme der Europäischen Kommission genannt wurden. Jetzt haben wir schon Mai 2021 und leider sind bisher nur sehr geringe Fortschritte zu verzeichnen.

 

„Die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina und die EU‑Mitgliedstaaten wollen mehr Fortschritt sehen und zwar jetzt.“

 

Die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina und die EU‑Mitgliedstaaten wollen mehr Fortschritt sehen und zwar jetzt. Die Führung des Landes sollte die Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) im Mai und die bevorstehende Tagung des Stabilitäts‑ und Assoziationsrats EU‑Bosnien und Herzegowina nutzen, um Positives zu berichten. Sie sollten mit konkreten Ergebnissen und nicht lediglich mit Versprechungen antreten – insbesondere, weil wir diese Versprechungen schon gehört haben. Keine leeren Worte mehr. Nur durch Taten und durch Fortschritte kann Bosnien und Herzegowina auf dem Weg zum EU‑Beitritt vorankommen und den Status eines Bewerberlandes erreichen. Fehlende Fortschritte und das Festhalten an rückwärtsgewandter Rhetorik und rückschrittlichem Handeln hätten hingegen den gegenteiligen Effekt.

Verfassungs- und Wahlrechtsreform – ein wichtiges Ziel

Ein wichtiges Ziel ist die Verfassungs- und Wahlrechtsreform. Es mag ehrgeizig klingen, aber es führt kein Weg daran vorbei, die Verfassung von Bosnien und Herzegowina zu ändern, damit sie die EU‑Standards erfüllt und damit das Urteil der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Rechtssache Sejdić/Finci (externer Link, nur in englischer Sprache) umgesetzt werden kann. Zudem muss das Wahlsystem von Bosnien und Herzegowina abgeändert werden, damit es in Einklang mit den Empfehlungen der OSZE und der GRECO steht. Ich weiß, dass diese Reformen schwierig sind und sehr heikle Themen betreffen – um erfolgreich zu sein, bedarf es des konstruktiven Engagements aller Verantwortlichen des gesamten politischen Spektrums und der Zivilgesellschaft.

 

„Ich weiß, dass diese Verfassungs‑ und Wahlrechtsreformen schwierig sind und sehr heikle Themen betreffen – um erfolgreich zu sein, bedarf es des konstruktiven Engagements aller Verantwortlichen des gesamten politischen Spektrums und der Zivilgesellschaft.“

 

Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit ist nach wie vor von wesentlicher Bedeutung. Es ist durchaus möglich, die Verabschiedung des Gesetzes zur Vergabe öffentlicher Aufträge, des Gesetzes über Interessenkonflikte und die Annahme der Änderungen am Gesetz über den Hohen Rat für Justiz und Staatsanwaltschaft in den kommenden Monaten im Einklang mit den Anforderungen der EU zu finalisieren. Alles andere würde nur darauf hindeuten, dass die notwendigen Reformen auf dem Weg in die Europäische Union blockiert werden.

Schließlich besteht die Aufgabe der EU darin, gemeinsam mit den USA in den Gespräche zu vermitteln und sicherzustellen, dass die vorgebrachten Vorschläge den EU‑Standards entsprechen. Es ist nicht hinnehmbar, dass versucht wird, die Rolle und Absicht der EU und unserer internationalen Partner in Bosnien und Herzegowina falsch darzustellen. Der Sonderbeauftrage und Botschafter der EU in Bosnien und Herzegowina Johann Sattler und sein Team genießen mein vollstes Vertrauen und meine Unterstützung.

 

„Die Aufgabe der EU besteht darin, gemeinsam mit den USA in den Gesprächen zu vermitteln. Es ist nicht hinnehmbar, dass versucht wird, die Rolle und Absicht der EU und unserer internationalen Partner in Bosnien und Herzegowina falsch darzustellen.“

 

In den letzten Monaten habe ich viel Zeit und Energie aufgewendet, um Bosnien und Herzegowina bei den Reformen auf seinem Weg zu einem EU‑Beitritt zu unterstützen. Die Regierung Bosnien und Herzegowinas muss den EU‑Mitgliedstaaten beweisen, dass sie diese wichtige Agenda bewältigen kann.

 

 

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