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Ausland Josep Borrell

EU-Außenbeauftragter schlägt neues Einsatzgebiet für „Sophia“ vor

, Brüssel
Asylbewerber, Flüchtling oder Migrant?

In der Debatte über Zuwanderung und Asyl werden nicht immer die korrekten Bezeichnungen verwendet. Die Begriffe „Flüchtling“, „Asylbewerber“ und „Migrant“ werden nicht immer präzise verwendet. Sehen Sie hier eine Begriffsklärung.

Quelle: WELT

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Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell fordert, dass eine europäische Marinemission das Waffenembargo für Libyen im Mittelmeer überwacht. Die Bedenken, dass deswegen mehr Migranten die Überfahrt wagen, teilt er nicht. Er sieht Bedrohungen für Europa aus anderen Gründen.

WELT: Herr Borrell, muss sich die EU in der Welt außenpolitisch mehr engagieren?

Josep Borrell: Die Rolle des barmherzigen Samariters spielen wir sehr gut. Wir stellen weltweit große Summen bereit, um die Wunden zu heilen, die andere verursacht haben. Es ist richtig, das zu tun. Aber wenn wir wirklich ein politischer Akteur auf der globalen Bühne sein wollen, sollten wir eine selbstbewusste und engagierte Rolle spielen und vor neuen Herausforderungen – zivilen und militärischen – nicht zurückschrecken.

Dazu ist Entschlossenheit, Einigkeit und vor allem ein gemeinsamer politischer Wille nötig. Es reicht nicht, immer wieder zu sagen: „Wir sind besorgt.“ Wir müssen mehr tun, als nur besorgt zu sein. Andererseits leistet die EU aber auch schon eine Menge.

WELT: Was meinen Sie genau?

Borrell: Wussten Sie zum Beispiel, dass die EU momentan 17 zivile und militärische Missionen durchführt, an denen rund 5000 europäische Soldaten und Polizisten beteiligt sind? Sie leisten eine exzellente Arbeit unter häufig schwierigen Umständen. Sie schützen Europa, und sie unterstützen beispielsweise durch Ausbildung von Sicherheitsbeamten die Länder, in denen sie tätig sind, dabei, sich langfristig selbst zu helfen.

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WELT: Aber Sie wünschen sich offenbar noch mehr Engagement.

Borrell: Definitiv. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Straße von Hormus, einer der wichtigsten Schiffshandelswege der Welt, wird derzeit von den Amerikanern und von sieben europäischen Staaten unter Federführung Frankreichs gesichert. Sie sorgen dafür, dass die Schiffe die Gewässer ungehindert passieren. Aus meiner Sicht sollte dies nicht nur ein Einsatz für eine Koalition der Willigen sein, sondern eine EU-Operation, für die sich alle Mitgliedstaaten verantwortlich fühlen.

Josep Borrell
Josep Borrell fordert eine stärkere militärische Präsenz der EU-Staaten in der Sahelzone
Quelle: AP/Francisco Seco

WELT: Und warum passiert das nicht?

Borrell: Jeder hat einen anderen Grund, warum es gerade nicht passt. Dabei haben in diesem Fall alle EU-Länder ein gemeinsames Interesse: die Sicherung des freien Warenverkehrs nach Europa.

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WELT: Auch in Deutschland ist dieser Einsatz nicht unumstritten.

Borrell: Man muss diesen Einsatz erklären und die Menschen fragen: „Wollt ihr wirklich auf Öl verzichten?“

WELT: Direkt vor der europäischen Haustür, in Libyen, herrscht Krieg. Die Teilnehmer der Berliner Konferenz hatten sich auf die Einhaltung des UN-Waffenembargos verpflichtet. Als EU-Chefdiplomat hatten Sie vor drei Wochen angeregt, der Waffenschmuggel auf dem Mittelmeer nach Libyen könnte beispielsweise durch eine Neubelebung der EU-Marinemission „Sophia“ kontrolliert werden. Österreich ist strikt dagegen, auch Italien und Griechenland haben Bedenken. Was nun?

Borrell: Wir tun alles, um eine Lösung zu finden, die auch diese Länder überzeugt. Aber klar ist auch: Wir müssen verhindern, dass Waffen über Land, Luft und See nach Libyen gelangen. Der beste Weg, einen Waffenstillstand zu sichern, ist nun mal, den Zugang zu Waffen zu unterbinden.

WELT: Österreichs Kanzler Kurz fürchtet, dass die Überwachung des Waffenembargos durch staatliche Schiffe auch immer mehr illegale Migranten anlockt, weil sie wissen, dass sich ihre Aussicht auf Rettung verbessert. Er spricht von einem Pull-Effekt.

Borrell: Ich verstehe die grundsätzlichen Bedenken aus Österreich und anderen Ländern. Aber es gibt dafür keine Belege. Die Bedenken sind nicht gedeckt durch die Wirklichkeit und Tatsachen. Sie stimmen so nicht.

WELT: Das sagen Sie so einfach.

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Borrell: Nein, das sagen mir die Zahlen. Ich bin Ingenieur, ich schaue mir Zahlen an. Wenn mir jemand sagt, es ist heiß, dann nehme ich ein Thermometer und schaue nach, ob das wirklich so ist. So ist es auch in diesem Fall.

WELT: Und was sagen die Zahlen?

Borrell: Es stimmt nicht, dass die Marine-Mission „Sophia“ zusätzliche Migranten anzieht und dazu führt, dass die Migration nach Europa weiter steigt. Im Jahr 2015 hatten wir 140.000 Ankünfte aus Libyen, und 2016 stiegen die Zahlen, wie überall in Europa, auf 164.000 an. Im Jahr 2017 waren es dann aber nur noch 105.000 Ankünfte und 2018 lediglich 27.400. Es sind auch nicht mehr Menschen auf dem Mittelmeer infolge der Marinemission gestorben: Die Sterberate ging von 3150 im Jahr 2015 auf 1300 im Jahr 2018 zurück.

WELT: Ende März geht das Mandat der Operation „Sophia“, die seit Sommer 2015 läuft, zu Ende. Seit einem Jahr sind im Rahmen dieser Operation ohnehin keine Schiffe mehr unterwegs, es wird nur noch die libysche Küstenwache ausgebildet. Was passiert jetzt?

Borrell: Die EU-Länder arbeiten derzeit daran, eine neue Operation auf die Beine zu stellen, mit einem neuen Mandat und erweiterten Aufgaben. Die Beratungen laufen. Ob diese Operation dann noch Sophia heißen wird, ist zweitrangig. Wichtig ist aber, dass das Mandat für die neue EU-Mission so ausgestaltet ist, dass die Überwachung des Waffenembargos aus der Luft, an Land und auf dem Mittelmeer möglich ist. Vor allem über die Landgrenzen kommen viele Waffen ins Land. Das müssen wir möglichst unterbinden.

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WELT: Aber wie wollen sie die Bedenken gegen einen Pull-Effekt durch Rettung von Migranten auf hoher See ausräumen?

Borrell: Es wäre aus meiner Sicht durchaus denkbar, dass die Kontrolle des Waffenembargos auf hoher See nicht wie bis März 2019 im zentralen Mittelmeer, wo die Routen der Migranten verlaufen, erfolgt, sondern weiter östlich im Mittelmeer, Richtung Bengasi oder sogar in Richtung Suezkanal. Die Waffen kommen ja aus der östlichen Richtung. Andererseits gibt es in dieser Region keine Migranten, weil die Fluchtrouten dort nicht verlaufen.

WELT: Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat kürzlich angeboten, dass die Allianz bei der Überwachung des Waffenembargos gegenüber Libyen eine größere Rolle spielen könnte. Ist das erwünscht?

Borrell: Jede Hilfe ist willkommen. Ich wäre sehr glücklich, wenn die Nato bereit wäre, Aufgaben bei der Durchsetzung des Waffenembargos zu übernehmen und uns zu assistieren.

WELT: Warum ist Stabilität in Libyen so wichtig?

Borrell: Die Krise in Libyen ist ein Tumor, der in die gesamte Region ausstrahlt und auch in die Sahelzone (Burkina-Faso, Niger, Mali, Tschad, Mauretanien) metastasiert hat. Wenn die Lage in Libyen nicht unter Kontrolle kommt, wird die gesamte Sahelzone noch weiter destabilisiert.

WELT: Was wären die Folgen?

Borrell: Das wäre eine große Bedrohung für die Europäer, weil sich radikalislamische Terrororganisationen dort ausbreiten. Noch mehr politische Instabilität würde zudem zu mehr Migration nach Europa führen.

WELT: Was tun in der Sahelzone?

Borrell: Die EU wird demnächst zu einer großen Sahel-Konferenz einladen, um eine Koalition für die Sahelzone zu bilden. Es werden in dieser Koalition neben europäischen Ländern auch Staaten der Region eingebunden werden. Eine solche Koalition wird aber auch erfordern, dass die Europäische Union dort ihre militärische Präsenz verstärkt, militärisches Gerät an die betroffenen Länder liefert und das Mandat des EU-Einsatzes in der Sahelregion verändert wird. Es reicht nicht, die Sicherheitskräfte in Mali und anderen Staaten nur in Trainingscamps auszubilden, die europäischen Ausbilder müssen sie auch bis zum Kampf begleiten und dort anleiten.

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WELT: Paris hat Länder wie Deutschland mehrfach um Unterstützung beim französischen Kampfeinsatz „Barkhane“ in der Sahelzone gebeten.

Borrell: Die Zahlen sind eindeutig: Die Vereinten Nationen sind mit 15.000 Soldaten vor Ort, die Franzosen mit mehr als 5000 Soldaten und die EU mit weniger als 1000. Ich denke, die Europäer sollten mehr Einsatz zeigen und nicht nur reden.

WELT: Warum?

Borrell: Wenn die Sahelzone eine Bedrohung für alle Europäer ist, dann muss die Bedrohung auch gemeinsam angegangen werden. Die Europäer sollten eine gemeinsame strategische Kultur miteinander teilen. Wir haben das nicht – aus historischen Gründen. Wir haben uns lange Zeit gegenseitig bekämpft. Aber wenn wir eine Schicksalsgemeinschaft sind, müssen wir eine gemeinsame Verantwortung füreinander empfinden und sie auch leben. Dazu fehlt aber häufig der politische Wille.

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