Glasgow: Die entscheidende Rolle der EU-Klimadiplomatie

01/11/2021 – HR/VP Blog – Der 26. Klimagipfel der Vereinten Nationen (COP 26) wird in Glasgow eröffnet. Der Klimawandel und die notwendige Beschleunigung des grünen Wandels haben eine bedeutende geopolitische Dimension. Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine weltweite, zwingende Notwendigkeit. Trotz der Spannungen zwischen den Weltmächten müssen wir daher die ganze Welt zusammenbringen und jetzt zum Handeln bewegen.

„Der Erfolg bei der Bekämpfung des Klimawandels hängt davon ab, ob die großen Weltmächte zur Zusammenarbeit fähig sind. Der EU kommt dabei eine entscheidende Rolle zu.“

 

Die Bekämpfung des Klimawandels ist ein globales Problem. Wir Europäer sind derzeit nur für 8 % der weltweiten Emissionen verantwortlich. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir daher zusammenarbeiten, vor allem mit den größten Emittenten (China, den Vereinigten Staaten, Japan, Russland, Saudi-Arabien, Indien, Kanada und andere). Wie in einem kürzlich veröffentlichten ECFR-Bericht festgestellt , brauchen wir vor allem ein „Klima der Zusammenarbeit“, und die EU muss dabei helfen, „eine Art grünen ‚Grand Bargain‘ zu erzielen“.

Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir den grünen Wandel schneller voranbringen und dabei von fossilen Energieträgern abrücken; dieser Weg wird auch erhebliche geopolitische Konsequenzen haben. Über Jahre hinweg haben Erdöl- und Erdgasproduzenten versucht, ihre Exporte als Waffe in den internationalen Beziehungen einzusetzen. Das jüngste Beispiel ist Moldau, wo Russland versucht hat, die Verhandlungen über einen neuen Erdgasliefervertrag von politischen Erwägungen abhängig zu machen, wie etwa der Entscheidung Moldaus, die Beziehungen zur EU zu stärken. Ein bekanntes Phänomen ist auch der sogenannte „Fluch des Öls“: demnach haben Länder mit großen Kohlenwasserstoffvorkommen häufig mit einer problematischen Regierungsführung, Instabilität und einer kaum diversifizierten Wirtschaftsstruktur zu kämpfen.

Mit dem grünen Wandel werden die Karten neu gemischt, was zur Lösung einiger dieser Probleme beitragen könnte. Allerdings wird es dabei auch Gewinner und Verlierer geben. Es könnte zu neuen Abhängigkeiten von Technologien und Rohstoffen kommen, die für die erneuerbaren Energien und adaptive technologische Entwicklungen benötigt werden. Wir müssen den Wandel intelligent steuern und wachsam für geopolitische Interessen und Dynamiken bleiben.

 

Annual total CO2 emissions, by world region bar chart

 

 

Quelle: Our World in Data

Fast dreißig Jahre nach dem Umweltgipfel in Rio von 1992 müssen wir uns eingestehen, dass wir trotz unserer immer wiederkehrenden feierlichen Erklärungen nicht entschlossen genug gehandelt haben. Nahezu 80 % des weltweiten Energiebedarfs werden nach wie vor mit Hilfe fossiler Brennstoffe erzeugt, und wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge sind wir weit davon entfernt, die Klimaziele des Übereinkommens von Paris zu erreichen. Im Rahmen des VN-Klimaübereinkommens wurde in der vergangenen Woche ein Bericht vorgelegt, wonach wir auf dem besten Weg sind, bis Ende dieses Jahrhunderts eine Erderwärmung um ganze 2,7 °C zu erreichen.

„Die COP 26 ist wahrscheinlich unsere allerletzte Gelegenheit, die Ziele des Übereinkommens von Paris zu erreichen und die Erderwärmung möglichst nahe bei 1,5 °C zu halten.“

Dies hätte verheerende Folgen für unsere Erde und unser Leben, unter anderem mit Dürren, dem Anstieg des Meeresspiegels, Stürmen und dem Verlust der biologischen Vielfalt. Dazu kommen schwerwiegende sozioökonomische und geopolitische Auswirkungen, auch im Hinblick auf die Sicherheit, insbesondere auf diejenigen Länder, die am wenigsten in der Lage sind, damit zurechtzukommen. „Die COP 26 ist wahrscheinlich unsere allerletzte Gelegenheit, die Ziele des Übereinkommens von Paris zu erreichen und die Erderwärmung möglichst nahe bei 1,5 °C zu halten.“

Der grüne Wandel erfordert enorme weltweite Investitionsanstrengungen. Wie Jean Pisani-Ferry kürzlich zu Recht festgestellt hat, scheinen private Investoren und Unternehmer durchaus bereit zu sein, massiv in den grünen Wandel zu investieren. Allerdings benötigen sie hierzu glaubwürdige, stabile und günstige politischen Rahmenbedingungen, die von der internationalen Gemeinschaft und den nationalen Regierungen vorgegeben werden müssen. Das ist bisher nicht der Fall. Diese Unsicherheit hat negative Auswirkungen: Investoren und multilaterale Geber wie die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Weltbank kehren fossilen Brennstoffen zwar den Rücken, allerdings liegen die Investitionen in grüne Technologien noch weit unter dem notwendigen Maß.  Mit den Konsequenzen, wie wir sie derzeit zu spüren bekommen.

 

„Private Investoren und Unternehmer scheinen durchaus bereit zu sein, massiv in den grünen Wandel zu investieren. Allerdings benötigen sie hierzu glaubwürdige, stabile und günstige politischen Rahmenbedingungen, die von der internationalen Gemeinschaft und den nationalen Regierungen vorgegeben werden müssen. Das ist bisher nicht der Fall.“

 

Als EU sind wir immer noch viel zu stark auf fossile Brennstoffe aus dem Ausland angewiesen, und die Krise, die wir derzeit aufgrund der hohen Energiepreise erleben, zeigt, wie problematisch diese Abhängigkeit ist. Daher ist der grüne Wandel in Europa nicht nur aus klimabezogenen Erwägungen notwendig, vielmehr geht es auch darum, unsere strategische Autonomie zu stärken, die Kaufkraft unserer Bürgerinnen und Bürger zu erhalten und Europa Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Die EU hat im Vorfeld des Gipfels in Glasgow ihre Hausaufgaben gemacht. Mit dem europäischen Grünen Deal bringen wir unsere Maßnahmen noch schneller voran. Mit dem Europäischen Klimagesetz wurde das rechtsverbindliche Ziel festgelegt, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, und die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 55 % zu senken. Mit dem Paket „Fit für 55“ arbeitet die EU derzeit an den erforderlichen konkreten Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Es wird nicht einfach werden. Um nur zwei wichtige Komponenten zu nennen: Die Digitalisierung der Wirtschaft wirkt sich erheblich auf unseren Energieverbrauch aus und die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft wird große Umverteilungseffekte bei Beschäftigung und Einkommen nach sich ziehen. Wir müssen wirksame Mittel finden, um sie abzufedern.

Die Frage der Klimaschutzfinanzierung wird entscheidend für den weltweiten Erfolg des Übereinkommens von Paris sein. Die finanziellen und menschlichen Kosten des Klimawandels steigen und werden, wie üblich, die Entwicklungsländer am härtesten treffen. Der Status quo ist untragbar, während der grüne Wandel zugleich eine wirtschaftliche Chance darstellt. Investitionen in umweltfreundliche Technologien können eine wichtige Triebkraft für die weltweite Erholung von der Pandemie sein und Hunderte Millionen guter, sicherer und nachhaltiger Arbeitsplätze weltweit schaffen. Die Industrieländer haben viele Probleme zu lösen, aber wenn sie nicht in der Lage sind, Entwicklungsländer und Schwellenländer bei der Anpassung an den Klimawandel und bei ihrem grünen Wandel zu unterstützen, wird der weltweite Kampf gegen den Klimawandel scheitern. Die EU, ihre Mitgliedstaaten und die EIB kommen gemeinsam mit 21 Mrd. € (rund 25 Mrd. $) für den größten Beitrag zu den jährlich von den Industrieländern zugesagten 100 Mrd. $ für den „Grünen Fonds“ zur Unterstützung der Entwicklungsländer auf. Im September stellte Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer jüngsten Rede zur Lage der Union weitere 4 Mrd. € bis 2027 in Aussicht. In diesem Zusammenhang haben wir derzeit konkrete Kooperationsprojekte mit Entwicklungsländern in Arbeit, die wir in den nächsten Tagen vorstellen werden.

 

„In Glasgow wird sich die EU in erster Linie darauf konzentrieren, andere zum Handeln zu bewegen. Der europäische Grüne Deal ist unsere ‚Visitenkarte‘ und unsere Einladung an andere, mit unseren Ambitionen gleichzuziehen.“

 

In Glasgow wird sich die EU darauf konzentrieren, andere zum Handeln zu bewegen. Der europäische Grüne Deal ist unsere ‚Visitenkarte‘ und unsere Einladung an andere, mit unseren Ambitionen gleichzuziehen. Unsere Kontaktarbeit hat dazu beigetragen, mehrere große Emittenten davon zu überzeugen, ihre Klimaschutzmaßnahmen zu intensivieren und sich ihrerseits dem Ziel der Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts zu verpflichten, nachdem die EU im Dezember 2019 die Vorreiterrolle übernommen hatte. Eine Woche nachdem Präsidentin von der Leyen an die USA appelliert hatte, ihren Beitrag zur Klimaschutzfinanzierung zu erhöhen, kam Präsident Biden diesem Appell in der Generalversammlung der Vereinten Nationen nach; nach unseren beharrlichen Bemühungen gegenüber China kündigte Präsident Xi den Ausstieg aus der internationalen Kohlefinanzierung an; eine Woche nach unserem hochrangigen Klimadialog sagte die Türkei zu, das Übereinkommen von Paris zu ratifizieren usw.. Als nächsten Schritt werden Präsidentin von der Leyen und US-Präsident Biden in Glasgow die globale Verpflichtung zur Reduzierung der Methanemissionen („Global Methane Pledge“) ins Leben rufen – da Methan einen wesentlich höheren Treibhauseffekt als CO2 hat.

 

Ein dauerhafter Erfolg bei der Bekämpfung des Klimawandels über den Gipfel von Glasgow hinaus wird davon abhängen, ob die großen Weltmächte fähig sind, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu finden, selbst wenn die geopolitischen Spannungen und ideologischen Meinungsverschiedenheiten groß sind.“

 

Ein dauerhafter Erfolg bei der Bekämpfung des Klimawandels über diesen Gipfel hinaus wird davon abhängen, ob die großen Weltmächte fähig sind, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu finden, selbst wenn die geopolitischen Spannungen und ideologischen Meinungsverschiedenheiten groß sind. Die EU spielt mit ihrer Klimadiplomatie seit dreißig Jahren eine wichtige Rolle dabei, diese notwendige globale Zusammenarbeit zu ermöglichen. Angesichts der angespannten internationalen Lage wird sie diese Rolle in Zukunft mehr und mehr übernehmen müssen. Klimaschutzmaßnahmen sind im Grunde genommen ein globales öffentliches Gut: sie können nur zustande kommen, wenn alle wichtigen Akteure ihren Teil dazu beitragen. Es ist ein Testfall für das multilaterale System. Angesichts des dramatischen Einsatzes, der für die Menschheit auf dem Spiel steht, können wir es uns nicht leisten, diesen Test nicht zu bestehen.

 

 

 

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