Der Kampf für die Demokratie in Myanmar

11/04/2021 – Blog des HR/VP – Die Welt blickt mit Entsetzen auf den blutigen Militärputsch in Myanmar, bei dem Berichten zufolge am letzten Freitag in Bago mehr als 80 Menschen getötet wurden. Wir verfolgen einen entschlossenen diplomatischen Ansatz in enger Abstimmung mit gleich gesinnten Partnern. Der geopolitische Wettbewerb in Myanmar macht es jedoch schwierig, eine gemeinsame Grundlage zu finden, der Gewalt Einhalt zu gebieten und eine Rückkehr zur Demokratie zu gewährleisten.

„Die Demokratie wird heute zunehmend herausgefordert, aber an wenigen Orten auf so dramatische und brutale Weise wie in Myanmar.“

 

„Die Demokratie wird heute zunehmend herausgefordert, aber an wenigen Orten auf so dramatische und brutale Weise wie in Myanmar.“ Am frühen Morgen des 1. Februar wurde der Übergang zur Demokratie in Myanmar durch einen Militärputsch im Stil der 1970er-Jahre um viele Jahre zurückgeworfen. Ohne Beweise zu liefern, behauptete die Armee, dass die Wahlen vom November 2020, die die Nationale Liga für Demokratie (NLD) erdrutschartig gewonnen hatte, „manipuliert“ gewesen seien. Sie rief den Ausnahmezustand aus und nahm die Staatsrätin Daw Aung San Suu Kyi und Präsident Win Myint zusammen mit anderen demokratischen Entscheidungsträgern in Haft.

Der Widerstand der Zivilbevölkerung gegen den Staatsstreich war so massiv, kreativ und mutig, dass er das Militär meines Erachtens überraschte. Letzteres reagierte mit den einzigen Mitteln, die es kennt und in der Vergangenheit nur allzu oft eingesetzt hat: Gewalt und Repression. Bislang wurden mindestens 550 unbewaffnete Demonstranten, darunter 46 Kinder, getötet. Mehr als 2800 Personen wurden festgenommen. Mit Entsetzen sieht die Welt zu, wie die Armee Gewalt gegen das eigene Volk anwendet.

Myanmar: Schauplatz geopolitischer Spannungen

Doch selbst im Angesicht solcher Brutalität spaltet die Geopolitik die internationale Gemeinschaft und behindert eine koordinierte Reaktion. Myanmar grenzt an die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt: China und Indien. Seine geographische Lage macht das Land zu einem strategischen Ort für Chinas „Neue-Seidenstraßen-Initiative“ (der Tiefsee-Zugang zum Indischen Ozean bietet), aber auch für Indiens eigenen Korridor zum Südchinesischen Meer. Auch andere Länder wie Japan, Südkorea und Singapur haben starke wirtschaftliche Interessen in Myanmar. Russland ist nach China der zweitgrößte Waffenlieferant des Landes.

Daher überrascht es nicht, dass Russland und China die Versuche des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen blockieren, beispielsweise ein Waffenembargo zu verhängen. China ist daran interessiert, seine strategischen Interessen im Land zu schützen, und hat den Staatsstreich als „tiefgreifende Regierungsumbildung“ bezeichnet, während Russland darauf beharrt, dass es sich um eine rein „innenpolitische Angelegenheit“ handelt. In der vergangenen Woche war Alexander Fomin, Russlands stellvertretender Verteidigungsminister, der ranghöchste ausländische Vertreter, der an der Parade zum Tag der Streitkräfte in Myanmar teilnahm, während andere, auch asiatische Länder, auf niedrigerer Ebene vertreten waren.

Demokratie und interethnischer Frieden

Die Lage wird durch das sehr vielfältige und komplexe ethnische Gefüge Myanmars erschwert: Innerhalb seiner Grenzen gibt es 135 offiziell anerkannte ethnische Gruppen, während andere, wie die Rohingya, nicht anerkannt sind. Seit der Unabhängigkeit gibt es Konflikte zwischen ethnischen Minderheiten und der Zentralregierung.

 

„Jahrzehntelang war die falsche Antwort auf dieses hohe Maß an ethnischer Vielfalt eine zentralistische Militärdiktatur, die Gewalt zwischen der Zentralarmee und den ethnischen Gruppen sowie die Unterdrückung der demokratischen Rechte für alle bedeutete.“

 

Weite Landstriche werden nicht von der Regierung kontrolliert, sondern von „bewaffneten ethnischen Organisationen“ oder Milizen, die in einigen Fällen Zehntausende von Anhängern haben. „Jahrzehntelang war die falsche Antwort auf dieses hohe Maß an ethnischer Vielfalt eine zentralistische Militärdiktatur, die Gewalt zwischen der Zentralarmee und den ethnischen Gruppen sowie die Unterdrückung der demokratischen Rechte für alle bedeutete.“

Nach 2010 führte ein allmählicher Demokratisierungsprozess im Jahr 2015 zu freien Wahlen, die von der NLD unter der Führung von Daw Aung San Suu Kyi gewonnen wurden. Mit dem Übergang zur Demokratie kehrte im selben Jahr auch der Frieden zwischen den ethnischen Gruppen ein. Nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts wurde im Oktober 2015 ein landesweites Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung und den bewaffneten ethnischen Gruppen unterzeichnet. Dies war ein Meilenstein, der den starken politischen Willen bewies, die seit Langem bestehenden Missstände durch Dialog und Zusammenarbeit und nicht mit Gewalt anzugehen. Die EU wurde ersucht, das landesweite Waffenstillstandsabkommen als internationaler Zeuge zu unterzeichnen.

So wie die Einführung der Demokratie den Frieden zwischen den ethnischen Gruppen gefördert hat, birgt ihre Abschaffung nun die Gefahr, dass die ethnische Gewalt wiederbelebt wird. Denn die ethnischen Organisationen stellen sich zunehmend auf die Seite der Demonstranten und nehmen den Kampf gegen das Militär wieder auf. Die Lage könnte außer Kontrolle geraten: Ende März wurden durch Luftangriffe des Militärs im Bundesstaat Kayin mehrere Zivilisten getötet und rund 10 000 Menschen vertrieben. Es wird immer härter durchgegriffen, wie auch die Todesopfer in Bago zeigen.

Was kann die EU tun? Partnerschaft für Demokratie

Die wirtschaftliche Präsenz der EU in Myanmar ist begrenzt, aber wir entwickeln uns dank der „Alles außer Waffen“-Präferenzregelung, die Entwicklungsländern zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Markt bietet, zu einem wichtigen Exportmarkt für Bekleidung. Die Ausfuhren Myanmars beliefen sich 2020 auf 2,4 Mrd. EUR, was einem pandemiebedingten Rückgang um 20 % gegenüber 2019 entspricht. Was die ausländischen Direktinvestitionen anbelangt, hinterlässt die EU – im Vergleich zu China (19 Mrd. USD) – nur einen relativ begrenzten Fußabdruck (700 Mio. USD im Jahr 2019).

 

„In einer Region, die sich zunehmend von der Demokratie entfernt, war Myanmar trotz Rückschlägen ein seltenes Beispiel für den Übergang hin zur Demokratie.“

 

Wir sind uns bewusst, dass wir nur begrenzt direkten Einfluss nehmen können, doch kann und sollte die EU versuchen, eine aktive Rolle zu übernehmen. Wir können nicht akzeptieren, dass eine demokratisch gewählte Regierung gestürzt und durch Militärherrschaft ersetzt wird. In einer Region, die sich zunehmend von der Demokratie entfernt, war Myanmar trotz Rückschlägen ein seltenes Beispiel für den Übergang hin zur Demokratie. Die EU hat außerdem erhebliche (finanzielle und politische) Mittel in diesen Übergang investiert, und zwar mit Wahlbeobachtungsmissionen, einer Aufstockung der Entwicklungshilfe (688 Mio. EUR im Zeitraum 2014-2020) und präferentiellen Handelsbedingungen.

Darüber hinaus gibt es die regionale Dimension. Im Dezember 2020 haben wir eine strategische Partnerschaft mit dem ASEAN vereinbart, um unsere Beziehungen zu einer der dynamischsten Regionen der Welt zu stärken. Dies bietet uns auch die Gelegenheit, uns eingehender mit dem ASEAN über Myanmar auszutauschen.

In der Präambel der ASEAN-Charta werden die „Wahrung der Grundsätze der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der guten Regierungsführung sowie der Achtung und des Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ genannt. Gleichzeitig handelt es sich bei dem ASEAN um eine konsensbasierte Organisation, die sich „in einem Tempo bewegt, das für alle bequem ist“, wodurch ihr Spielraum, bei der Bewältigung dieser Art von Konflikten eine bedeutende Rolle zu übernehmen, begrenzt ist. Als EU haben wir jedoch ein Interesse daran, regional geführte Versuche zur Vermittlung und Bewältigung der Krise zu fördern, und wir sollten alle Kräfte innerhalb des ASEAN unterstützen, die dies auch wollen.

Wir könnten diesen diplomatischen Weg stärken, indem wir anbieten, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu intensivieren, wenn Myanmar wieder auf den Weg der Demokratie zurückkehrt: Neben mehr Handel könnten wir hochwertige Investitionen anbieten, die dem Land durch modernste Technologien und nachhaltige Geschäftsprinzipien auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung helfen könnten. Myanmar benötigt eine stärker diversifizierte Palette externer Investoren, daher sind Investitionen, die typischerweise von europäischen Unternehmen angeboten werden, gefragt. Nachhaltigkeit ist von entscheidender Bedeutung, da Myanmar eines der drei Länder der Welt ist, die durch die Auswirkungen des Klimawandels am stärksten gefährdet sind (externer Link).

Die unmittelbare Reaktion der EU und die nächsten Schritte

Wir haben rasch auf den Putsch reagiert und uns eng mit unseren Partnern abgestimmt. Als EU27 haben wir am 2. Februar eine starke Erklärung abgegeben, in der wir den Putsch verurteilen und die sofortige Freilassung aller Gefangenen sowie die Wiedereinsetzung der demokratisch gewählten Institutionen fordern.

Die EU hat alle Entwicklungshilfezahlungen in die Staatskasse unverzüglich eingestellt. Maßnahmen zugunsten der Behörden wie Polizeiausbildung, bei der die EU die Einhaltung hoher Standards bei der zivilen Polizeiarbeit unterstützt, wurden ebenfalls eingefroren. Am 22. März hat die EU eine erste Reihe von Sanktionen gegen elf Schlüsselfiguren, die für den Staatsstreich verantwortlich sind, einschließlich des Oberbefehlshabers und seines Stellvertreters, verhängt. Wir arbeiten derzeit an einem zweiten Paket von Sanktionen gegen weitere Einzelpersonen und gegen Unternehmen, die sich im Besitz des Militärs befinden. Wir wollen der Junta signalisieren, dass ihr Handeln Konsequenzen hat.

Bei unseren Maßnahmen gehen wir vom Grundsatz der Schadensvermeidung aus: Wir zielen nur auf diejenigen ab, die für den Staatsstreich verantwortlich sind, und auf ihre Geschäftsinteressen, wobei negative Auswirkungen auf die breite Bevölkerung verhindert werden sollen. Aus diesem Grund richten sich unsere Sanktionen nur gegen Unternehmen im Besitz des Militärs und enthalten eine „humanitäre Klausel“, die die Bereitstellung von Hilfe ermöglicht. ECHO hat bereits Soforthilfe in Höhe von 11,5 Mio. EUR zugewiesen und ist bereit, erforderlichenfalls noch mehr aufzubieten.

Parallel dazu verfolgen wir in enger Abstimmung mit unseren gleich gesinnten Partnern, insbesondere den USA und dem Vereinigten Königreich, einen entschlossenen diplomatischen Ansatz, bei dem alle wichtigen Interessenträger (ASEAN, China, Japan, Indien) einbezogen werden. Wir plädieren für eine innerstaatliche Lösung, die von der Region und der internationalen Gemeinschaft im weiteren Sinne unterstützt wird. Dies sollte mit Deeskalation und der Freilassung von Häftlingen beginnen.

Sanktionen an sich sind keine Politik. Wir müssen eine gemeinsame diplomatische Plattform schaffen, um einen Dialog einzuleiten, mit dem die Demokratie in Myanmar im Einklang mit dem klaren Willen seiner mutigen Bevölkerung wiederhergestellt werden kann.

Wir dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen, müssen aber realistische Erwartungen haben. Der geopolitische Wettbewerb in Myanmar macht es sehr schwierig, eine gemeinsame Grundlage zu finden – dies haben wir immer wieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erlebt. Das Militär von Myanmar ist internationale Isolation gewohnt und hat seit Jahrzehnten die Bedürfnisse und den Willen der Bürgerinnen und Bürger des Landes ignoriert.

Aber wir haben die Pflicht, es zu versuchen. In erster Linie um sicherzustellen, dass der bei den Wahlen im November 2020 zum Ausdruck gebrachte Wille der Bevölkerung Myanmars respektiert wird. Aber auch um das Demokratie-Experiment des Landes zu verteidigen, durch das es – trotz seiner Grenzen – zu einem wichtigen Vorbild wurde, wenn man bedenkt, dass sich die Angriffe auf Grundfreiheiten und Demokratie in der ganzen Welt mehren.

 

 

 

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